domenica, luglio 15, 2007

Sulmona

Stolz preist sie sich an, die Stadt Sulmona - Stadt der Kunst! Doch der Besitzer eines blauen Buntstifts schien das anders zu sehen - wieso nur? Verweilen wir hier für einen Augenblick und nehmen Bestand auf.
Links im Strassenschild finden wir das Wappen der Stadt; unten noch einmal in einer gusseisernen Version vergrößert:

SMPE steht dort - die Abkürzung des Verses, mit dem der römische Dichter Publius Ovidius Naso (Naso wohl wegen seines Riesenzinkens) in seinen Tristien aus der Verbannung Bezug nimmt auf seine Heimatstadt, welche sich auf lateinisch Sulmo nennt:

Sulmo mihi patria est gelidis uberrimus undis. (Tristien 4, 10, 3)

Der zweite Teil des Hexameters (gelidis uberrimus undis) verweist auf den Überfluss der Stadt an eiskaltem Wasser - europäische Kulturhauptstadt wird man damit noch nicht, aber wir wollen diese Spur etwas weiterverfolgen.

So stolpern wir schon nach wenigen Schritten über ein malerisches, mit roter, ausgestanzter Absperrrolle versehenes Nymphäum, nebst einer erklecklichen Anzahl von Wassersprengern im Park:

Uberrima scheint sie in der Tat an Wasser, diese Stadt, doch wie kalt ist es wirklich? Die Antwort kann nur der selbstlose Selbstversuch liefern:

Die sich chamäleonartig an das Hemd annähernde Färbung des Glatzenthermometers lässt keinen Zweifel: ja, Ovid untertreibt nicht mit gelidus, es ist schweinekalt!

Nach der Verifizierung des Wassers gehen wir weiter und gelangen auf den Corso Ovidio - vielleicht Überrest des antiken Decumanus, dem entlang sich die Doppelhaushälfte der Nasi befanden haben könnte? Auf jeden Fall finden wir aufeinem Platz entlang des Corso Ovidio das Denkmal des Dichters in Denkerpose: oh werde mir zum Altar des tenerorum lusor amorum, des zarten Liebesdichters und Verfasser der Metamorphosen, des Meisters des subtilen Humors und Kenners der Menschen:

Unerreichbar thront er über der Stadt, und so soll im Streben nach Höherem ich mich begnügen.


Wir wandeln weiter auf den Spuren des Dichters, und entdecken schon bald sein Stammcafè, in dem er einst die ersten dichterischen Gehversuche unternahm - vielleicht nicht unähnlich der einsamen Kinder der Grossstadt, welche man in den Starbucks-Läden dieser Welt vertieft mit einem Apple-Laptop, Norah Jones im Hintergrund, hinter der obligatorischen Fensterfront über die Melancholie der Stadt und des Lebens schreibend findet?


Unten: Vielleicht Ovids Geburtshaus? Vielleicht aber auch nicht...
Unten: Ovids Schulweg..

Nach langer Zeit finden wir mit der Fabbrica Confetti "Ovidio" wieder einen Ort, zu dem wir einen deutlichen literarischen Bezug herstellen können.

So berichtet uns Ovid in der autobiographischen Elegie 4, 10 - aus der auch schon das obige Zitat zur statt stammte - wie er sich Jahr auf Jahr den Geburtstagskuchen mit seinem Bruder teilen musste:
Lucifer amborum natalibus affuit idem:
una celebrata est per duo liba dies. (4, 10, 11f)
Dieser Kuchen - vielleicht ging Ovids Mutter einst im Morgengrauen los, um ihn in dieser Konditorei zu erstehen? Sein Bruder hatte auf jeden Fall am gleichen Tage Geburtstag wie er, und vielleicht war es knapp, das Geld bei den Nasi, weil Vater Naso nur allzu anfällig für Pferdewetten war. So stürzte Ovid die Familie in große Sorgen, als die Musen ihn von der Rednerkarriere hinfortzogen und alles, was er schrieb, zum Vers wurde...

Die Überschrift der Konditorei (Fabbrica Confetti) sollte den deutschen Leser übrigens nicht in die Irre führen. Wenn man in Italien fragt, wofür Sulmona bekannt ist, hört man höchstens zwei Antworten: für confetti und Ovidio. In der Regel nur das erste, und fast immer nur in dieser Reihenfolge. Über das Verhältnis von Magen zu Hirn sagt das etwa so viel aus, wie wenn man bei Basel an Leckerli und dann erst an Erasmus oder Calvin denkt.


Rechts: Der hungrige Humanist Erasmus beim Verfassen seines Frühdialoges "De perfectione mundi in confecto Basileae visa" (Hans Holbein der Jüngere, Privatbesitz Freiburg)









Unten: Reformator Johannes Calvin zusammen mit dem britischen Staatstheoretiker Thomas Hobbes (von letztgenanntem stammt das berühmte Zitat homo homini tigris)

Der Verweis auf das confetti in dem Ladenschild ist jedenfalls kein Hinweis darauf, dass es sich bei Sulmona um eine Karnevalshochburg handelt. Ganz im Gegenteil: es ist ein verschlafenes Dörfchen im Osten der Apeinnen, ca. 40km von Pescara entfernt, das sich nicht auf Papierschnipsel, sondern auf das Zuckerbäckerhandwerk spezialisiert hat - ähnlich wie Perugia auf dem Berge Schokolade kocht. Italienisch heissen die mit Mandeln oder anderem Zeugs gefüllten Zuckergusspastillen, die auch gerne zu Blumenarrangements weiterverarbeitet werden, confetti.

Auch wir haben übrigens eine Verwandte des confetti im Wortschatz, das Konfekt nämlich - wohl von lateinisch confectum (es ist vollendet) - aber so überwältigend schmeckt es hier dann doch nicht. Bei aller Verehrung für Ovid - Stadt der Kunst, dafür reicht es noch nicht ganz in Sulmona. Aber der Marktplatz trumpft noch einmal auf mit der wirklich gelungenen gotischen Fassade der Kirche Santa Maria Assunta und den Statuen der Kirchenväter:

Suchbild aus dem Inneren der Kirche: In diesem Bild hat sich ein Küster im Blumenarrangement versteckt! Kannst Du ihn entdecken?

Wir halten also fest zu Sulmona: Wer aus Rom anreist, weil es ihn nach Kunst und Kultur dürstet, den wird Sulmona nur mit eisigem Wasser laben. Doch wer bereit ist, in der Stadt mehr zu sehen, als de facto da ist, wird auch aus ihr Inspiration ziehen und in ihr Spuren großen Geistes finden können. Und wem das nicht gelingt, dem bleibt immer noch der Charme eines beschaulichen Marktfleckens in den Abruzzen.

1 Comments:

Anonymous Anonimo said...

Das Hobbes-Zitat wurde wohl von einem Euphrast ausgesucht?

4:31 PM  

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