venerdì, novembre 17, 2006

Reliquien

Italiener haben das image, recht kinderlieb zu sein. Diese Liebe erstreckt sich nicht nur auf Kreaturen aus Fleisch und Blut, sondern kann auch schon mal auf den ersten Blick leblose Holzfiguren umfassen. Die müssen jedoch aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt sein, nämlich aus dem Holz des Ölbaums aus dem Garten Getsehmane in Jerusalem. Ein Franziskanermönch soll diese hier im 15. Jahrhundert geschnitzt haben, und während er schlief, bemalten es Engel.


Von ihm, dem sogenannten santo bambino, gehen seitdem wundersame Kräfte aus, und heute noch finden sich zu seinen Füßen in der Kirche Santa Maria in Aracoeli (gleich neben dem Kapitol) Unmengen von Bittbriefen aus der ganzen Welt. Wer es sich leisten konnte, ließ sich den santo bambino auch mal nach Hause bringen, damit er dort segensreich wirken konnte. Dementsprechend hüllt er sich heute in ein Gewand aus ihm vermachten Schmuckstücken. Einmal meinte es einer dieser Gutbetuchten zu gut, und ließ statt dem Original-bambino eine Kopie zurückgehen. Der santo bambino liess das jedoch nicht mit sich machen, und lief den Weg zurück zum Franziskanerorden neben seiner Stammkirche und klopfte an die Tür. Nach drei Versuchen erblickte ihn der Mönch endlich auf der Türschwelle. Die Kopie hat aber auch irgendwie semi-magische Kräfte und wird in einem Ort 50km nördlich von Rom aufbewahrt.

Was auf den ersten Blick wie einer der häufigen, aber eher belächelten Auswüchse der Verbindung von Katholizismus und ländlichem Aberglauben / Legendentum aussieht, wird seriöser aufgefasst, als es scheint. Das zeigt schon die Gürtelschnalle des bambino, auf dem die Insignien des Jesuitenordens (JHS, d.h. Jesum habemus socium bzw. die Anfangsbuchstaben der griechischen Schreibweise von Jesus (Ιησους)) zu erblicken sind, eines Ordens, in dem in der Regel die scharfsinnigeren Denker zu finden sind.

Welche unglaubliche Rolle den Reliquien von offizieller Seite zugemessen wird/wurde, zeigt sich bei der scala santa in Rom. Gläubige Menschen besteigen die 28 Stufen dieser Treppe, welche anscheinend vom Palast des Pontius Pilatus in Jerusalem kommt, auf den Knien. Gab es anscheinend mal einen Generalablass für - weswegen Luther kommentarlos die Treppe einfach hochgelaufen ist. Am oberen Ende der Treppe findet sich ein Schrein, dessen Inschrift nicht gerade bescheiden klingt:
Non est in toto sanctior orbe locus (Es gibt auf der ganzen Welt keinen heiligeren Ort).


Hier befanden sich die Köpfe von Petrus und Paulus lange Zeit, und auch von Maria, Jesus und anderen Aposteln gab es hier zahlreiche Hinterlassenschaften.

Der Drang zur Visualisierung der biblischen Erzählungen und nach Greifbarem scheint mir in Europa nirgendwo so spürbar wie in Italien. Diese Suche nach evidence schlägt sich nirgendwo deutlicher nieder als in der Reliquienverehrung. Das bestes Beispiel dafür ist die Kirche Santa Croce in Gerusalemme in Rom.


Hier befinden sich zahlreiche Reliquien, wie zum Beispiel Stücke des sog. Schächerkreuzes, 2 Dornen der Dornenkrone und sogar ein Nagel vom Kreuz Jesu.

Desweiteren befindet sich hier eine Kopie der umstrittensten Reliquie überhaupt, des Turiner Grabtuchs. Auf dem Original ist der Abdruck eines Gesichtes zu erkennen, welches als Antlitz Jesu identifiziert wurde.


Die Diskussion um diese Reliquie war in letzter Zeit vor allem wegen der C-14 Datierungsmethode wiederaufgeflammt und gelangt mit jeder neuen wissenschaftlichen Untersuchung erneut in die Schlagzeilen. In Anbetracht der Verehrung, welche dieser Reliquie entgegengebracht wurde (Messe für das Tuch seit 1505), wäre eine nachchristliche Datierung unschön für die Gemeinschaft der Gläubigen.

Welche Bedeutung wissenschaftliche Erkenntnisse für die katholische Kirche haben, zeigte sich Anfang September dieses Jahres. Neben dem Turiner Grabtuch gibt es noch das Schweißtuch der Veronica als eine der bedeutensten Reliquien Jesu. Der Vatikan bewahrt dieses Schweißtuch, was seit 708 in Rom bezeugt ist, überhalb der entsprechenden Nische im Pfeiler der Kuppel des Petersdoms auf, wo sich Francesco Mochis Statue der heiligen Veronika befindet.


Auf dem Tuch ist mittlerweile fast nichts mehr zu erkennen. Eine Reliquie wie viele andere.

In den letzten Jahren ergaben jedoch die Forschungen des Kunsthistorikers Heinrich Pfeiffer, dass es sich bei einem ganz anderen Schweisstuch, dem volto santo, um das eigentliche Schweißtuch handelt. Dieses wird nicht in Rom aufbewahrt, sondern irgendwo in einem Bergdorf in den Abbruzzen. Es zeigt das Gesicht eines Mannes mit lädiertem Gesicht:



Kunstgeschichtlich ist das Bild nicht eindeutig einer bestimmten Epoche zuzuordnen, es fällt komplett aus dem Rahmen. Allein schon das Material dieses Tuchs ist faszinierend. Es besteht aus Muschelseide (lat. byssum), einem halb-transparenten, unglaublich filigranen und wertvollen Stoff. Er wird aus den Haltefäden einer Mittelmeermuschel gewonnen (welche heute unter Naturschutz steht). Er ist sehr robust (Hippokrates schreibt, dass antike Ärzte Tücher aus diesem Material verwendeten, um sie nach Verwendung im Feuer desinfizieren zu können) und darüber hinaus ist er: unbemalbar.

Offiziell ist das Schweißtuch seit 1638 im Besitz des ansässigen Kapuzinerordens. Möglich wäre es, dass dieses Tuch beim Sacco di Roma 1527 oder dem Abriss der alten Petersbasilika 1608 gestohlen wurde, und vom Vatikan einfach durch ein anderes Tuch ausgetauscht worden ist. Wie dem auch sei, das Problem bei diesen zwei (bzw. drei, es gibt noch das Schweißtuch von Oviedo) Reliquien ist, dass der wissenschaftlich gestützte Echtheitsanspruch einer der Reliquien die anderen als Pseudo-Reliquien herausstellt, denen Gutgläubige ihre Verehrung entgegengebracht haben. Das ist auch für die Kirche unschön, welche natürlich dankbar für den Effekt ihrer Reliquien war, den biblischen Berichten Authentizität zu verleihen und sichtbare Beweise für den Glauben zu liefern.

Der Vatikan hält sich bedeckt zu sämtlichen Hypothesen. Aber dass der Papst das Tuch nicht als Fälschung abtut, bestätigt die Tatsache, dass er sich (natürlich inoffiziell, d.h. als "privater Christ") Anfang September nach Manoppello einfliegen ließ, um das Tuch zu begutachten - und um davor zu beten. Papst Benedikt hielt sich äusserst bedeckt mit Echtheitshypothesen. Er bezeichnete die Kirche, die er immerhin zur basilica minor erhob, lediglich als einen "Ort, an dem wir über das Geheimnis der göttlichen Liebe nachdenken können, indem wir die Ikone des Heiligen Antlitzes betrachten.“

Wie heisst es so schön in Johannes, 20:19: μακάριοι οἱ μὴ ἰδόντες καὶ πιστεύσαντες. Das hat der alte Fritz schon der Gemeinde geantwortet, die sich beschwerte, dass ein frisch hochgezogener Regierungspalast die Kirchenfenster verdeckt: "Selig sind die, die nicht sehen, und trotzdem glauben."

2 Comments:

Anonymous Anonimo said...

Naja, das Scheisstuch aus Oviedo?

5:43 PM  
Blogger philologe said...

mist für diesen vertipper komm ich sicher in die hölle... naja vielleicht sollte ich nach korrektur trotzdem mal beichten gehen!

5:58 PM  

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